Von der Theorie in die Praxis
In der pädagogischen Arbeit mit Kindern ist die Unterscheidung zwischen Bedürfnissen und Wünschen von zentraler Bedeutung. Während Bedürfnisse die Grundlage für ein gesundes Aufwachsen darstellen, sind Wünsche Ausdruck von Individualität, Selbstverwirklichung und Entwicklung. Der bewusste Umgang mit beiden Aspekten stellt eine Schlüsselkompetenz von Pädagog*innen dar. Die Perspektiven der Fachautorinnen Kathrin Hohmann, Inke Hummel und Lea Wedewardt liefern wertvolle Impulse für die praktische Arbeit in der Kita.
Autorinnen dieses Textes sind Annika Fischbach und Liane Ölschlager-Maier aus der Fachabteilung Kindertageseinrichtungen. Die Situationsbeispiele wurden mithilfe von ChatGPT (OpenAI) erstellt am 23.04.2025 und redaktionell überarbeitet.
Bedürfnisse sind universell und unverzichtbar. Sie umfassen sowohl körperliche als auch emotionale und soziale Aspekte: Nahrung, Schlaf, Bewegung ebenso wie Sicherheit, Zugehörigkeit und Anerkennung. Werden diese Grundbedürfnisse nicht erfüllt, kann dies tiefgreifende Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung haben.
Wünsche dagegen sind individuell geprägt. Sie entspringen oft Bedürfnissen, gehen aber über das Notwendige hinaus. Wünsche spiegeln kindliche Interessen, Neugier und Kreativität wider. Sie sind Ausdruck der sich entwickelnden Persönlichkeit und ein wichtiger Motor für Selbstständigkeit und Identitätsbildung.
Mehr Infos zur Bedürfnispyramide nach Marslow gibt es z.B. auf kita.de
Kathrin Hohmann: Bedürfnisse als Fundament
Die Autorin Kathrin Hohmann betont in ihrem Buch „Augenhöhe statt Strafen, Beziehungsstark in Kita, Krippe und Kindertagespflege" die Notwendigkeit, Bedürfnisse konsequent zu priorisieren. Sie sieht in der Erfüllung emotionaler Grundbedürfnisse wie Geborgenheit, Bindung und Autonomie die Voraussetzung für die Fähigkeit des Kindes, überhaupt eigene Wünsche zu entwickeln und zu äußern. Gleichzeitig fordert sie dazu auf, Raum für Wünsche zu lassen als Bestandteil einer ganzheitlichen, wertschätzenden Pädagogik.
Inke Hummel: Die Kunst der Balance
Inke Hummel spricht sich in ihrem Buch „Nicht zu streng, nicht zu eng“ für eine ausgewogene Erziehung aus. Sie empfiehlt eine Balance zwischen Struktur, Freiheit, Klarheit und Offenheit. Pädagog*innen sollen Kindern Orientierung bieten und gleichzeitig deren Wünsche ernst nehmen. Es geht darum, Kinder in ihrer Selbstwahrnehmung zu stärken und ihnen durch wertschätzende Kommunikation zu helfen, zwischen Bedürfnis und Wunsch zu unterscheiden.
Lea Wedewardt: Bedürfnisse erkennen – Wünsche respektieren
Die Expertin für bedürfnisorientierte Pädagogik, Lea Wedewardt, plädiert in ihren Fachbüchern und zahlreichen Podcastsendungen (z.B. Der Kitapodcast) für eine Pädagogik, die individuelle Wahrnehmung fördert und Kindern hilft, sich selbst besser zu verstehen. In ihrem Ansatz steht die Förderung der Autonomie und sozialer Kompetenz im Vordergrund. Wünsche sollen geäußert und reflektiert werden dürfen, jedoch nie auf Kosten der Grundbedürfnisse gehen - weder des einzelnen Kindes noch der Gruppe.
Literaturempfehlungen:
Pädagog*innen sind gefordert, körperliche und emotionale Signale der Kinder wahrzunehmen und angemessen darauf zu reagieren. Eine ruhige Atmosphäre, verlässliche Rituale und feinfühlige Beziehungen sind essenziell. Ein gelingender Kita-Alltag orientiert sich an den vielfältigen Bedürfnissen aller Akteur*innen und setzt sich dafür ein, diese im Einklang mit den institutionellen Strukturen und Rahmenbedingungen sensibel und flexibel umzusetzen.
Die Autorinnen Lea Wedewart und Kathrin Hohmann zeigen in ihrem Buch „Kinder achtsam und bedürfnisorientiert begleiten“, wie „die Bedürfnisse ALLER Beteiligten in der Gruppe einander gegenüberzustellen und auszuhandeln“ sind.
Im Kitaalltag geht es vor allem darum, die Bedürfnisse der Kinder wahr- und erst zunehmen und in Abwägung der Situation angemessen und zugewandt zu begleiten.
Das Kind (1 Jahr alt) wirkt müde, reibt sich die Augen. Die Pädagogin wickelt gerade ein anderes Kind.
Die Pädagogin wendet sich mit ruhiger Stimme dem müden Kind zu, hält kurz Blickkontakt und sagt:
„Du bist müde, das sehe ich. Ich bin gleich bei dir. Wenn ich mit dem Wickeln fertig bin, bringe ich dich in die Kuschelecke, ja?“
Dabei signalisiert sie durch Tonfall, Mimik und Gestik Nähe und Verlässlichkeit – auch wenn das Kind sprachlich noch nicht alles versteht, fühlt es sich gesehen und ernst genommen.
Wünsche ernst nehmen und integrieren
Wünsche sind eine relevante Ausdrucksform kindlicher Selbstwahrnehmung und individueller Entwicklung und verdienen eine professionelle pädagogische Begleitung. Sie bieten wichtige Lernchancen etwa in der Kommunikation, im sozialen Miteinander oder beim Einbringen eigener Anliegen in die Gruppe. Kinder, deren Wünsche wahr- und ernst genommen werden, erleben Autonomie und entwickeln ein positives Selbstbild. Gleichzeitig lernen sie, mit Bedürfnisaufschub umzugehen, wenn ein Wunsch nicht sofort oder nicht in vollem Umfang erfüllt werden kann.
Ein zehnjähriges Hortkind hat bereits zwei Portionen Nachtisch gegessen und bittet nun um eine dritte Portion. Der Pädagoge erkennt, dass es sich nicht um Hunger, sondern um Lust auf mehr Süßspeise handelt, und nutzt die Gelegenheit, sowohl den Wunsch als auch das Thema Gesundheit und Fairness anzusprechen.
Dialog – Pädagoge & Kind (achtsam & reflektierend)
Kind (hoffnungsvoll): „Kann ich bitte noch eine Portion Pudding haben? Nur noch eine, bitte!“
Pädagoge (freundlich, ruhig): „Du hast schon zwei Portionen gegessen und deine Mahlzeit ist damit eigentlich gut abgeschlossen. Magst du mir erzählen, warum du noch eine Portion möchtest?“
Kind (mit einem Lächeln): „Weil es so lecker ist und ich noch mehr haben will!“
Pädagoge (einfühlsam und verständnisvoll): „Ich verstehe, es schmeckt wirklich gut! Aber weißt du, es ist wichtig, dass wir alle auch mal was abgeben, damit es für alle reicht. Und wenn wir zu viel Süßes essen, ist das nicht so gut für unsere Gesundheit. Zu viel Zucker kann uns müde machen oder Bauchschmerzen verursachen. Es ist gut, hin und wieder etwas Süßes zu genießen, aber auch darauf zu achten, dass es uns nicht zu viel wird.“
Kind (nachdenklich): „Oh, das wusste ich nicht. Aber ich hab immer noch Lust drauf…“
Pädagoge (sanft, aber bestimmt): „Das ist vollkommen okay es ist auch schön, mal etwas Leckeres zu essen. Aber wir wollen ja, dass es allen gut geht und niemand zu viel von etwas bekommt. Es ist wichtig, dass wir auf unsere Gesundheit achten, damit wir fit und stark bleiben. Wie wäre es, wenn du beim nächsten Mal wieder ein bisschen mehr genießen kannst, aber heute lassen wir es bei zwei Portionen. Vielleicht gibt es morgen eine neue leckere Überraschung!“
Kind (verständnisvoll): „Okay, dann nehme ich noch einen Apfel das schmeckt auch gut!“
Pädagoge: „Das ist eine tolle Idee! Ein Apfel ist genau richtig.“
Pädagogisches Ergebnis:
Grenzen als Orientierungsrahmen
Klare, transparent gesetzte Grenzen geben Kindern Sicherheit. Sie schaffen Raum für Partizipation im Rahmen dessen, was in einer Gemeinschaft möglich ist. Der Dialog über Bedürfnisse und Wünsche kann hier eine Brücke sein: Kinder lernen, dass beides Platz hat aber auch, dass Rücksicht und Verantwortung dazugehören.
Ein vierjähriges Kind möchte alleine in den Materialraum gehen, um Kreativzubehör zu holen. Die Pädagogin erkennt, dass der Wunsch des Kindes nach Unabhängigkeit und Selbstbestimmung wichtig ist, jedoch aus Sicherheitsgründen in diesem Moment nicht erfüllt werden kann.
Dialog – Pädagogin & Kind (klar und einfühlsam)
Kind (mit Entschlossenheit): „Ich möchte allein in die Materialraum gehen und mir das Bastelzeug holen!“
Pädagogin (ruhig und freundlich): „Ich verstehe, du möchtest jetzt sofort loslegen und das Basteln macht bestimmt viel Spaß! Aber weißt du, der Materialraum ist ein Ort, den wir nur zusammen betreten dürfen, weil es dort viele Dinge gibt, die gefährlich sein könnten.“
Kind (etwas enttäuscht): „Aber ich will doch nur das Papier holen!“
Pädagogin (verständnisvoll): „Das kann ich gut nachvollziehen, dass du schnell an das Papier möchtest. Aber es gibt auch andere Dinge im Materialraum, an denen du dich ohne meine Begleitung verletzen kannst. Mir ist wichtig, dass du sicher bist. Deshalb haben wir die Regel festgelegt: Der Materialraum darf nur mit einem Erwachsenen betreten werden.“
Kind (überlegt): „Was kann ich dann machen?“
Pädagogin (lösungsorientiert und beruhigend): „Wir können das gemeinsam machen! Ich helfe dir, das Bastelmaterial zu holen, wenn ich Moritz und Atta beim Aufräumen geholfen habe. Wie klingt das?“
Kind (erleichtert und zustimmend): „Okay, dann hilfst du mir?“
Pädagogin: „Ja, gerne“.
Pädagogisches Ergebnis:
Der bewusste Umgang mit Bedürfnissen und Wünschen ist eine tägliche pädagogische Aufgabe und eine Haltung. Pädagog*innen sollten Kinder darin bestärken, sich selbst zu spüren, ihre Anliegen zu benennen und mit anderen in Beziehung zu bringen. Eine professionelle Begleitung balanciert klare Strukturen mit liebevoller Offenheit aus, immer mit Blick auf die individuellen Entwicklungspotenziale jedes Kindes.
So gelingt eine Erziehung, die nicht nur schützt und begleitet, sondern auch inspiriert und wachsen lässt.
Mehr Infos zur Bedürfnisorientierten Kinderbetreuung im Kitapodcast. Ein Gespräch mit Kathrin Hohmann
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